Anthropozän und Kunstbetrieb [DE] -> Ausstellungstext von Dr. Andreas Beitin
Anthropozän und Kunstbetrieb 1
Dr. Andreas Beitin
Direktor, Kunstmuseum Wolfsburg
„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht“, lautet eine der zentralen Schlussfolgerungen zur Lage der Menschheit im Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome – veröffentlicht bereits vor rund einem halben Jahrhundert.2 Einige der sich aus dieser Studie ergebenden Forderungen waren damals: die Bevölkerungszahlen ab 1975 konstant zu halten, den Verbrauch der natürlichen Rohstoffe zu reduzieren, die Schadstofffreisetzung zu senken und insgesamt die Umweltverschmutzung zu begrenzen, um die Weltbevölkerung und den erreichten Wohlstand auf dem damaligen Level halten bzw. nachhaltig gewährleisten zu können.3 Denn, so war sich der international besetzte und aus unterschiedlichen Disziplinen stammende Wissenschaftsrat einig, würde es nicht gelingen, innerhalb absehbarer Zeit, die prognostizierten Probleme zu lösen, sei das Überleben der Menschheit in Gefahr.
Der Bericht wurde nach seinem Erscheinen vielfach kritisiert, seine Thesen infrage gestellt und von Politik, Wirtschaft und letztlich auch von den meisten Gesellschaften weitgehend ignoriert, dem „Prinzip Verantwortung“, um mit dem Philosophen Hans Jonas zu sprechen, wurde in diesem Zusammenhang kaum Beachtung geschenkt.4 Jedoch haben nachfolgende wissenschaftliche Studien und heute längst bekannte Fakten bestätigt, dass der 1972 veröffentlichte Bericht in vielen Bereichen doch relativ genau die künftige Entwicklung vorhergesagt hat,5 die sich bereits ab der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer global stattfindenden „große Beschleunigung“,6 wie sie von Forscher*innen des Anthropozäns beschrieben wird, abgezeichnet hat. Durch das „super-exponentielle" 7 Wachstum der Weltbevölkerung, dem intensiven Fortschreiten der Industrialisierung und des Wirtschaftswachstums und dem damit verbundenen rasant ansteigenden Verbrauch an Primärenergie, der sich zwischen 1950 und 2010 mehr als verfünffacht,8 bis 2023 sogar um das Siebenfache gesteigert hat 9 und damit derzeit (2023) für 40,7 Gigatonnen an jährlichen CO2-Emissionen 10 verantwortlich ist, ist es zu der gegenwärtigen Situation wie etwa der weitreichenden Verschmutzung der Umwelt, der großflächigen Vernichtung von Lebensraum und vor allem dem Klimawandel gekommen, der bereits jetzt die auf uns zukommende Klimakatastrophe erahnen lässt. Aufgrund der exzessiven Übernutzung der zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen kommt es zu einem immer früheren Erreichen des sogenannten Earth Overshoot Day, dem Erdüberlastungstag, der anzeigt, an welchem Tag eines jeweils laufenden Jahres der globale Verbrauch von nachwachsenden Rohstoffen die der Reproduktion dieser Ressourcen übersteigt.11 Lag dieser Tag im Jahr der Veröffentlichung von Die Grenzen des Wachstums noch am 29. Dezember, so ist er mittlerweile im weltweiten Durchschnitt bereits am 1. August erreicht, in einigen Industrienationen liegt er sogar schon deutlich früher, so zum Beispiel in Deutschland bereits am 2. Mai, in den USA sogar schon am 14. März; Katar und Luxemburg belegen weltweit die „Spitzenplätze“ mit dem 11. bzw. 16. Februar.12 Global – oder besser mit der von Bruno Latour vorgeschlagenen Terminologie „terrestrisch“ 13 – betrachtet, verbrauchen wir, statistisch gesehen, gegenwärtig (2024) die Rohstoffe von 1,7 Erden und leben damit massiv auf Kosten künftiger Generationen.
Vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung ist es innerhalb der vergangenen Jahrzehnte zu massiven Veränderungen sowohl auf der Erde als auch in den Meeren gekommen. Weltweit wird von vielen Forscher:innen mittlerweile anerkannt, dass mit dem Anthropozän eine neue geochronologische Epoche angebrochen ist, da der Mensch vor allem in den Bereichen von Biologie, Geologie und Atmosphäre für nicht mehr revidierbare Veränderungen verantwortlich ist – Artensterben, Umweltverschmutzung und Klimawandel sind nur einige der in diesem Kontext zu nennenden Auswirkungen. Umstritten ist allerdings, wann der Beginn dieses neuen Erdzeitalters anzusetzen ist. Jan Zalasiewicz und andere Wissenschaftler:innen sehen beispielsweise den Beginn der durch den Menschen und seine Handlungen determinierten Ära mit dem 16. Juli 1945 gegeben, dem Tag, an dem der erste Atombombenversuch durchgeführt worden ist.14 Dieses gesetzte Datum ergibt auch vor dem Hintergrund Sinn, da mit der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, also ab der Mitte des 20. Jahrhunderts, eine Phase beginnt, in der – wie bereits beschrieben – ein exponentielles Wachstum der Weltbevölkerung, ein intensives Fortschreiten der Industrialisierung und damit einhergehend ein massives globales Wirtschaftswachstum einsetzt. Unabhängig davon, wann genau nun der Beginn des Anthropozäns anzusetzen ist, dürfte unstrittig sein, dass wir mit dem Klimawandel, der zunehmend zur Klimakatastrophe mit stetig spürbareren Auswirkungen wird, eine der wichtigsten und global gravierendsten Herausforderungen vor uns haben. Einerseits wurde zwar noch nie zuvor weltweit so viel über Klimaschutz diskutiert wie in den vergangenen Jahren, andererseits wurde noch nie so viel Kohlendioxid emittiert und noch nie zuvor so viel (und immer noch so billig) geflogen, um nur zwei Aspekte der globalen Inkonsequenz zu nennen – um nicht von Schizophrenie zu sprechen. Unterstützt wird solches Verhalten durch zahllose verantwortungslose Populisten, die immer noch den Klimawandel leugnen und dadurch Menschen in ihrem rücksichtlosen Tun bestärken. Durch die hinter uns liegende Pandemie war zwar durch das weitgehende Reduzieren oder vorübergehende Einstellen des Flug- und Reiseverkehrs sowie das temporäre Reduzieren von Produktionsprozessen ein kurzzeitiges Absinken der CO2-Emissionen zu verzeichnen. Jedoch hat sich spätestens mit Ausbruch des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sowie der kriegerischen Handlungen zwischen Israel und Palästina und mittlerweile auch dem Libanon, der Fokus des öffentlichen Interesses zunehmend auf diese Konflikte konzentriert. Die vielfach geforderte und teils schon datierte Klimaneutralität ist auf jeden Fall nach wie vor in weiter Ferne.
Aber blicken wir nun auf die Kultur: Auch innerhalb dieses wichtigen gesellschaftlichen Bereiches gibt es neben der grundsätzlichen Bedeutung und Notwendigkeit, eine Kehrseite der Medaille, denn trotz aller Evidenz der enormen Relevanz von Kulturinstitutionen für das gesellschaftliche Zusammenleben weisen ganz besonders Museen in Bezug auf ihren CO2-Fußabdruck in der Regel „schwierige“ Bilanzen auf. Selbst mittelgroße Museen haben einen jährlichen Stromverbrauch, mit dem in Westeuropa – jeweils – mehrere hundert Privathaushalte versorgt werden könnten. Blickt man auf so große Kultureinrichtungen wie etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, so hat man es noch mit ganz anderen Zahlen zu tun: Der jährliche Energiebedarf der SPK für Heizung, Strom und Fernwärme beträgt rund 70 Millionen Kilowattstunden, was in etwa 30.000 Tonnen CO2 entspricht.15 Aber mit dem direkten Energieverbrauch ist in der Regel der CO2-Footprint von Museen noch nicht ausgefüllt, denn es kommt noch der meist umfangreiche Aufwand für die Transporte von Kunstwerken hinzu, die teilweise aus aller Welt für Ausstellungen herangeschafft werden, das Produzieren bzw. Beschaffen von Ausstellungsdisplays (wie Wände, Vitrinen, Sockel, Bodenbeläge etc.), die Reisen von Kurator*innen und Direktor*innen zu Meetings, Leihverhandlungen, Eröffnungen und vieles anderes mehr.
„Natürlich ist die Kulturwelt ganz entschieden für den Klimaschutz – und produziert doch Treibhausgase in gigantischem Ausmaß“, monierte der Kunst- und Architekturkritiker Hanno Rauterberg in der Wochenzeitung DIE ZEIT die Scheinheiligkeit der Kunstwelt; und weiter: „Die Kulturwelt insgesamt, vor allem aber der Kunstbetrieb produziert einen ökologischen Fußabdruck, der ähnlich maßlos ist wie der Geltungsdrang der Branche. Es gilt als Selbstverständlichkeit, dass Kuratoren für einen kleinen Atelierbesuch um die halbe Welt jetten, dass immerzu Kunstwerke per Flugexpress versandt werden und bei den Messen in Miami oder Basel die Flughäfen nachgerade verstopft sind, weil so viele Sammler mit einem Learjet anreisen.“16 Trotz der leicht überspitzten Darstellung muss man Rauterberg zugestehen, dass er nicht ganz unrecht hat, denn in den vergangenen Jahrzehnten hatte man tatsächlich den Eindruck gewinnen können, dass auch innerhalb der Direktor*innen- und Kurator*innenschaft ein unausgesprochener Wettkampf tobte, wer die meisten Messen, Biennalen und Festivals besucht hat – je weiter weg und ausgefallener das jeweilige Event, desto cooler. Und wer hat sie nicht jahrelang gesehen, die Riesenjachten – mehr eigentlich kleine Kreuzfahrtschiffe – der internationalen Megasammler*innen, die unter zahlreichen anderen illustren Destinationen alle zwei Jahre vor den Giardini in Venedig zur Biennale anlegen und ihre (Sammler-)Potenz PS-stark demonstrieren. Auch wenn in den letzten Jahren dieses Reiseverhalten scheinbar etwas reduziert wurde, bleibt das Grundproblem generell bestehen, so dass die simple, aber oftmals doch zutreffende Formel für viele Individuen Gültigkeit hat: Über je mehr Geld jemand verfügt, desto mehr Ressourcen werden verbraucht und dementsprechend mehr Umweltschäden verursacht. Vom Greenwashing von Unternehmen ganz zu schweigen. Und auch das eine oder andere Museum bzw. Kunsthalle muss sich diese Art von Image-Aufpolierung vorwerfen lassen, wenn alibimäßig zum Beispiel für eine einzelne Ausstellung ausnahmsweise auf Klimatisierung und Beleuchtung verzichtet wird, danach aber der Betrieb wie bisher weiter geht.
Natürlich brauchen Kurator*innen Input, müssen trotz aller medialen Möglichkeiten wie E-Mail, Online-Meetings oder VR die Kunstwerke idealerweise persönlich in Augenschein nehmen, intensiv mit den Kunstschaffenden über deren Intentionen und die Inhalte ihrer Kunst diskutieren, mit Kolleg*innen Kooperationen aushandeln, bei Eröffnungen vor Ort sein und überall netzwerken. Das ist für die Branche der Gegenwartskunst ganz selbstverständlich und vor allem vor dem Hintergrund der sich einerseits endlich globalisierenden Kunst im Sinne eines verstärkten Einbeziehens von nichtwestlichen Positionen auch sicher sinnvoll, um nicht wieder nur die viel zitierten „alten, weißen Männer“ aus Europa oder den USA in den Museen und Kunsthallen auszustellen. Andererseits ist dies aber eben zwangsläufig verbunden mit Flugreisen innerhalb Europas, oder nach Asien, Südamerika oder gar Australien. Das ist aber im Verhältnis zu den geradezu irrwitzigen Ressourcenverbräuchen von Kunstmessen und den mit ihnen verbundenen Transport- und Reisewegen von (teils in schweren Kisten verpackter) Kunst, Ausstellenden und im Privatjet anreisenden Sammler*innen noch zu vernachlässigen, wie Robert Fleck kürzlich untersucht hat.17 Im musealen Sektor sind die ökologischen Auswirkungen von Ausstellungen jedoch auch nicht ganz gering, da oftmals viele Hundert Kilo, manchmal Tonnen von Kunst um die Welt geflogen werden müssen. Hierzu ein praktisches Beispiel: 500 Kilo (Kunst) von Schanghai nach Hamburg mit dem Flugzeug zu transportieren, bedeutet Emissionen von rund 3,36 Tonnen CO2, mit dem Schiff hingegen nur 76 Kilo, wie ein Beitrag des Norddeutschen Rundfunks kritisch untersucht hat – wenn allerdings auch mit nur wenig Empathie für die Belange und die sich aus dem Klima-Dilemma ergebenden Probleme für Kunst und Museen.18 Aus vielfachen Erfahrungen ist bekannt, wie schnell einige Tonnen Transportgut selbst bei einer mittelgroßen Ausstellung mit Skulpturen, großen gerahmten Bildern und Fotografien oder Installationen zusammenkommen. Ganz auf Transporte zu verzichten, kann natürlich auch nicht die Lösung sein, um Museen „grüner“ zu machen, denn es sollen ja auch in Zukunft noch faszinierende Schauen für die Besucher*innen zu sehen sein, die nicht nur mit Videos bestückt sind oder mit Kunst lokaler und regionaler Künstler*innen. Diese verzwickte Problemlage innerhalb der nächsten Jahre zu lösen, ist sicherlich eine der Hauptherausforderungen für global agierende Museen, wenn auf institutioneller Ebene etwas zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und damit zur Verlangsamung des Klimawandels ernsthaft etwas beigetragen werden soll. Vor allem eine gute und vorausschauende zeitliche Planung in Verbund mit der Transport-Logistik, den Kunstversicherungen und Leihgeber*innen sollte etwas dazu beitragen, dass künftig mehr Kunst zumindest interkontinental über den Seeweg transportiert werden kann und dadurch Emissionen, wenn auch nicht vermieden, so doch aber deutlich reduziert werden können. Hier ist sicher noch viel Umdenken sowie eine verstärkte Risikoabwägung seitens der Leihnehmer*innen gefragt. Aber insgesamt ist dies durchaus ein Ansatz und gangbarer Weg, wie bereits einige professionelle Veranstalter*innen von Tournee-Ausstellungen berichten, die ihre Kunstwerke in speziell ausgestatteten Überseecontainern per Schiff von einem Ausstellungsort zum nächsten transportieren.
Aber wie sieht es sonst noch mit den Museen aus? Unabhängig davon, ob sie für die Besucher*innen geöffnet oder geschlossen sind, müssen die Ausstellungsräume und Depots klimatisiert werden, um den nach internationalen Standards festgelegten Temperatur- und Luftfeuchtigkeitswerten zu entsprechen. Diese gelten rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr, um Kunst und Kulturgüter bestmöglich für die Nachwelt zu erhalten. Und das stellt ein weiteres Dilemma dar.
Die Gesellschaft braucht Kunst, um sich an ihr zu reiben, sich zuweilen auch an ihr zu stören, aber auch, um von ihr zu lernen, von den kreativen Potenzialen für neue Denkweisen und Wege inspiriert zu werden. Einerseits gibt es internationale Standards, nach denen Kulturgut allgemein und Werke der bildenden Kunst insbesondere dauerhaft aufbewahrt werden müssen, andererseits ist es notwendig, Mittel und Wege zu finden, notfalls mit staatlicher Unterstützung, mit den Museen gemeinsam einen Weg aus dem Dilemma zu finden und die Institutionen auf ihrem Weg zu ökologisch nachhaltigeren Arbeitsweisen zu unterstützen. Auch bei Neubauten von Museen sollte, nein muss in Zukunft auf eine Nachhaltigkeit der verwendeten Materialien sowie auf die generelle Umweltbilanz beim späteren Betrieb vorausschauend geachtet und aus den Erfahrungen bereits bestehender Museen gelernt werden. Der neue museale Prestigebau in Berlin, das berlin modern von den Architekten Herzog & de Meuron, war zunächst was den ökologischen Footprint und die Nachhaltigkeit angeht kein gutes Beispiel und damit eine vertane Chance. Stefan Simon, Leiter des Rathgen-Forschungslabors nannte den Bau in einem ZEIT-Artikel einen „Klimakiller“.19 Durch die Initiative des Direktors der Neuen Nationalgalerie Klaus Biesenbach konnte schließlich noch das Schlimmste vermieden werden, wobei sich dennoch am Grundproblem wenig ändert, denn selbst viele Architekten bestätigen immer wieder: Die größte ökologische „Sünde“ ist der Neubau selbst, denn so viel wie dort an Ressourcen verbraucht wird, kann der auch vorbildlichste Betrieb nie wieder einsparen.
Das alles ist im Grunde kein neues Thema: Bereits 2010 titelte die Neue Zürcher Zeitung „Das grüne Museum“ 20 in einem Artikel von Stephanie Lahrtz und erläuterte, dass sich „durch neuartige Konzepte bei der Lichtmischung sowie der Raumtemperatur“ einiges an Energie einsparen ließe. Diese technischen Verbesserungen sind also folglich nichts Neues, machen jedoch meistens nur einen eher kleineren Teil aus, denn das Hauptproblem bleiben weiterhin die hohen Energieeinsätze für die Klimatisierung von Kunst- und Kulturgütern, um sie möglichst unbeschadet und authentisch der Nachwelt zu erhalten. Spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends wurde aber auch bei einigen Museumsneubauten auf eine Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks geachtet, wobei der Einsatz von Photovoltaik-Anlagen auf den meist ausgedehnten Dachflächen eher zur Ausnahme als zur Regel gehört. Dies wäre ein weiterer sinnvoller Schritt seitens der Gesetzgeber, wenn grundsätzlich bei Neubauten – und das trifft nicht nur für Museumsgebäude zu – auf den Dachflächen Solaranlagen installiert werden würden, um die Spitzenverbräuche von Energie vor allem in den durch den Klimawandel bedingten zunehmend heißer werdenden Sommermonaten zu verringern.
Aus der Perspektive der Kunst verwundert es schon sehr, dass gerade im Kulturbereich das ökologische Bewusstsein für das eigene Tun insgesamt so spät einsetzt, denn die Kunst selbst hat schon im 19. Jahrhundert (durch Künstler wie William Turner, John Constable, William Blake, William Morris u. a.), vor allem aber seit den 1960er-Jahren immer wieder ökologisch-kritische Positionen hervorgebracht, natürlich zunächst nur vereinzelt, wie zum Beispiel Hans Haacke, Robert Smithson, Alan Sonfist, Newton Harrison und Helen Mayer Harrison, HA Schult oder Jürgen Claus; weithin sichtbar auch über die verschiedenen Projekte der Land Art. 1972 hat Gyorgy Kepes, damals Professor am MIT Massachusetts Institute of Technology und Gründer des dort angesiedelten CAVS Center for Advanced Visual Studies, den Band Arts of the Environment herausgebracht, darin ein Essay mit dem Titel „Art and Ecological Consciousness“.21 Einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Joseph Beuys, gehörte immerhin 1980 zu den Gründungsmitgliedern der Partei der Grünen, wenn auch sein Fahren eines Cadillacs und das Tragen von Pelzmänteln ähnlich unvereinbar mit ökologischen Inhalten schien wie das heutige Verhalten der Kunstszene in Bezug auf das Umweltbewusstsein. Dies, um nur einige wenige Beispiele anzusprechen, die institutionell allerdings eher ohne Auswirkungen im Sinne eines generellen Bewusstseinswandels geblieben sind. In den letzten Jahren hat sich die bildende Kunst zwar insgesamt deutlich mehr politischen Inhalten zugewendet, die sie ausstellenden Institutionen haben aber oftmals Kritik an eigenem Verhalten weitgehend ignoriert. So konnte Daniel Völzke 2021 in einem Beitrag in der Monopol resümieren: „Klimaschutz kommt in Museen zumeist nur als Programminhalt vor – wenn überhaupt. Dabei gäbe es genug zu tun, um Emissionen von Ausstellungshäusern zu drosseln“.22
Es wäre also geradezu absurd, wenn ausgerechnet die Museen, welche mit ihren programmatischen Themen die gesellschaftlichen Prozesse kritisch begleiten sollen und weitgehend auch wollen, unfähig zur Selbstkritik und Selbstverbesserung wären. Erste Maßnahmen, um den ökologischen Fußabdruck zu verbessern können in diesem Zusammenhang unter anderem sein:
- Optimierung der Transportwege für Kunst (z.B. Schiff statt Flugzeug)
- Überprüfung der Notwendigkeit von (Flug-)Reisen und verstärkte Nutzung alternativer Kommunikationsformen (z. B. Online-Konferenzen)
- Konsequente Umrüstung aller Beleuchtungsmittel auf LED-Leuchten
- Überprüfung und Optimierung konservatorischer Maßnahmen für Kulturgüter
- Optimierung bei der Ausnutzung von klimatisierten Depotflächen
- Monitoring zur Analyse von Wärme- und Kälteverlusten an Gebäudehüllen und anschließende Optimierung bestehender Gebäudeteile
- Einsatz von Photovoltaik-Anlagen auf ungenutzten Dachflächen zur Reduzierung des Energieverbrauchs
- Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen
- Reduzierung des einmaligen Gebrauchs von Ausstellungsmaterialien bzw. ausschließlich Mehrfachverwendung von Displaymaterialien (wie Ausstellungswänden, Teppichen, Sockeln etc.)
- Einführung eines kostenfreien CO2-Rechners zur Ermittlung der Emissionen
- Transparenz in Bezug auf den gesamten Energieverbrauch (als Vorbild für alle Unternehmen und Institutionen)
Natürlich kann dieser rudimentäre Maßnahmenkatalog nur ein erster Anfang für ein Umdenken und für einen Wandel im Verbrauch der Ressourcen darstellen – sowohl für den Museumsbereich als auch für den Kunstbetrieb insgesamt. Besonders für staatliche oder städtische Museen, die oftmals kaum genug eigene Mittel haben, ihren Ausstellungsbetrieb aufrechtzuerhalten, stellt das ökologisch ausgerichtete Um- und Aufrüsten des Museumsbetriebes eine große Herausforderung dar. Umso mehr muss man Städte und Kommunen dazu bringen, sich speziell auch in diesem Bereich mit den Kulturinstitutionen zusammenzusetzen, um entsprechende Maßnahmen anzugehen. Nur dadurch wird es möglich sein, dass Museen sowie auch alle anderen Bereiche des Kunstbetriebs im Zeitalter des Anthropozäns ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Die im wahrsten Sinne des Wortes bestehende Notwendigkeit steht außer Frage.
Oktober 2024
FOOTNOTES
1 Der vorliegende Text basiert auf zwei gekürzten und zum Teil aktualisierten Veröffentlichungen des Autors: „Öl – keine Schönheit ohne Schrecken. Ein Vorwort“, in: Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters, hg. v. Andreas Beitin, Alexander Klose, Benjamin Steininger, Köln, 2021; und: „Is the Museum of the Future Green? Institutional Challenges of a Changing Ecological Consciousness in Art and Culture“, in: The Future of the Museum, ed. by Latika Gupta / Goethe Institut, New Delhi, 2021.
2 Dennis Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, aus dem Amerikanischen von Hans-Dieter Heck, Stuttgart 1972, S. 17.
3 Ebd., S. 147 ff.
4 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation [1979], Berlin 2020. Darin schreibt Jonas in ökologisch-ethischer Abwandlung von Immanuel Kants kategorischem Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“; oder negativ ausgedrückt: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens“, ebd. S. 38.
5 Was das wirtschaftliche Wachstum und die damit verbundene Belastung der Umwelt durch Länder wie beispielsweise der Volksrepublik China oder Indien angeht, lag der Bericht allerdings weit daneben: War er 1972 noch davon ausgegangen, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr in China im Jahr 2000 bei nur 100 US-Dollar liegen würde, betrug er tatsächlich 951 und 2020 bereits 10.839 US-Dollar, online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/19407/umfrage/bruttoinlandsprodukt-pro-kopf-in-china/ [07.03.2021]. Die Volksrepublik China ist (Stand 2019) der mit Abstand größte nationalstaatliche CO2-Emittent und ist für fast ein Drittel (30,3%) der globalen Kohlenstoffdioxid-Emissionen verantwortlich, gefolgt von den USA (13,4 Prozent), Indien (6,8 Prozent%) und Russland 4,7 Prozent), online: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_größten_Kohlenstoffdioxidemittenten# [16.10.2024].
6 Will Steffen u. a., „The Trajectory of the Anthropocene. The Great Acceleration“, in: The Anthropocene Review, 2015, S. 1–18.
7 Meadows u. a. 1972 (wie Anm. 1), S. 26.
8 Jaia Syvitski u.a., „Extraordinary Human Energy Consumption and Resultant Geological Impacts Beginning Around 1950 CE Initiated the Proposed Anthropocene Epoch“, in: Communications Earth & Environment, 2020, 1, 32, online: https://www.nature.com/articles/s43247-020-00029-y.pdf?origin=ppub [16.10.2024].
9 Online: https://ourworldindata.org/fossil-fuels#global-fossil-fuel-consumption [16.10.2024].
10 Online: http://www.globalcarbonatlas.org/en/CO2-emissions [16.10.2024].
11 Online: https://www.overshootday.org/2020-calculation/ [16.10.2024].
11 Online: https://de.wikipedia.org/wiki/Earth_Overshoot_Day#cite_note-12 [16.10.2024].
13 Bruno Latour, Das terrestrische Manifest, Berlin 2020. Latour schlägt den Begriff des „Terrestrischen“ u. a. zur Abgrenzung gegenüber dem Globalen vor, da dieser Begriff eher eine emphatische Innenperspektive ermögliche: „Das TERRESTRISCHE […] erlaubt keine Teilnahmslosigkeit“, ebd., S. 86 (Hervorhebung durch den Verfasser).
14 an Zalasiewicz u. a., „When did the Anthropocene begin? A Mid-Twentieth Century Boundary Level is Stratigraphically Optimal“, in: Quaternary International, 383, 5.10.2015, S. 196–203, hier S. 200. Es gibt aber auch andere Stimmen, die das Anthropozän schon mit dem Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1800 in Verbindung bringen.
15 Stand 2020, Online: https://www.tagesspiegel.de/kultur/kunsthaeuser-sind-oft-co2-schleudern-wir-brauchen-eine-klima-taskforce-fuer-museen/26672942.html [16.10.2024].
16 Online: https://www.zeit.de/2019/32/greenwashing-klimaschutz-klimawandel-kunstszene-kulturwelt#comments [16.10.2024].
17 Robert Fleck, Kunst und Ökologie, Wien, Hamburg, 2023, S. 121-132.
18 Online: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/kulturjournal/Die-Kunst-und-Klima-Museen-muessen-umdenken,kulturjournal7326.html [letzter Aufruf am 25.02.2021]).
19 Stefan Simon zitiert in: Tobias Timm, „Künstliche Winde“, Die Zeit, 31. März 2021, S 58.
20 Online: https://www.nzz.ch/das_gruene_museum-1.5856670 [16.10.2024].
21 Gyorgy Kepes, „Art and Ecological Consciousness“, in: id. (Hrsg.), Arts of the Environment, New York, 1972.
22 Online: https://www.monopol-magazin.de/gruenes-museum-hundertwasser-kunst-haus-wien?slide=0 [16.10.2024].